You had horses, what were you thinking? Die Motorisierung der Wehrmacht im zweiten Weltkrieg

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Es gibt kaum ein Bild, das mehr polarisiert als das der Motorisierung der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Das genannte Bild neigt dazu in Extremen gesehen zu werden, für die einen ist es die schier unaufhaltsame Panzerwelle, für andere war die Wehrmacht eine Pferdenutzende, erste Weltkriegsarmee, die zufällig ein paar Panzer herumstehen hatte. Beide Bilder werden allzu oft genutzt, um die eigene Agenda zu stärken mit all den lächerlichen Offensichtlichkeiten, die solch eine Blindheit für Kontext mit sich bringt.

Was ist also wahr, wie stand es um die Wehrmacht, die Motorisierung und was beeinflusste das Bild der Gegner?

Die Wehrmacht kannte nicht nur voll motorisierte/mechanisierte Verbände, sondern stattete auch Infanteriedivisionen in verschiedenen Graden mit Lkws, Kfz und den oft übersehenden Motorrädern aus, wobei viele trotzdem das Bild einer völlig auf Pferde angewiesenen Infanterie haben. Schauen wir uns also einmal eine Infanterie-Division der 1. Welle im Frühjahr 1941 an:

Eine solche Division umfasste:

  • Divisionsstab, Militärpolizei, Feldpost, Instandsetzung, BäckereiKp, SchlachterKp, SanitätsKp mit einem Feldhospital und zwei Ambulanzzügen, Divisionslogistik und viele kleinere Einheiten
  • Fernmelde Btl.
  • 3 Infanterie-Regimenter mit je 3 Btl.
  • Aufklärungs Abt.
  • Panzerjäger Abt.
  • Pionier Btl
  • Artillerie Reg.

Zusammen hatte eine solche Division 1740 Reitpferde und 3630 Zugpferde, dem standen nur 753 motorisierte Fahrzeuge, 14 Zugmaschinen und 490 Motorräder (rund 190 davon mit Seitenwagen) gegenüber. Hier wird dann auch meist der erste Fehler begangen, 1 Pferd wird 1 Kfz gleichgesetzt. Klingt zwar albern, aber jeder, der schonmal in einer Diskussion über Kriegsführung verwickelt war, hat wohl den Typen kennengelernt, der nur mit Zahlen um sich wirft wie: In Operation Barbarossa benutzten die Deutschen 600.000 Pferde!

Nun sehen wir aber schon, dass hier keine Unterscheidung zwischen Reit- und Zugpferden gemacht wird und wenn wir uns der Sache en detail widmen und die Zahlen weiter aufbrechen, stellen wir schnell fest, dass wie eigentlich immer in der Militärhistorie der Kontext zählt.

Zurück zur Division 1. Welle, von den 753 motorisierten Fahrzeugen waren 516 Lkws mit einer durchschnittlichen Ladung von 2,5 Tonnen und 237 leichte Kfz mit durchschnittlicher Tragkraft von 600 kg.

Das durchschnittliche Pferdegespann der Wehrmacht zog Karren mit einer Traglast von 1,25 Tonnen. Wir sehen also hier schon einen beträchtlichen Unterschied in Tragkraft, zumal das Pferdegespann ja im Schnitt 4 Pferde hatte. Wenn man zu der Tragkraft der Lkws jetzt noch die der Zugmaschinen und Motorräder hinzunimmt, kommt man zu dem Ergebnis, dass über 50% des Transportraums einer Division 1. Welle motorisiert war, in Zahlen 1646 Tonnen gegenüber den 1486 Tonnen gezogen durch Pferde. Selbst wenn ich die Motoräder exkludiere, sinkt die Zahl nur auf 1432 Tonnen, was immer noch fast 50% sind. [siehe Nigel Askey, Operation Barbarossa Volume IIA, German Division`s Organisation and Equipment]

Zum Vergleich hatte eine sowjetische Infanterie-Division im Frühjahr 1941 1100 Zugpferde und 585 Lkws, 22 leichte Kfz und 16 Motorräder wobei bei den Lkws die Mehrheit der GAZ-AA mit 1,5 Tonnen Tragkraft ausmachte, der nächst schwerere Lkw war der ZIS-5 mit 3 Tonnen Tragkraft, dieser war aber normalerweise auf Korps und Armee Ebenen eingesetzt. Wenn wir dennoch von einem paritätischen Mix aus beiden auf Divisionsebene ausgehen, erreichen wir eine Befähigung, nur mit Motorfahrzeugen 1181 Tonnen zu bewegen.

Dies ist zwar weniger, dennoch wäre es akkurater, beide Divisionen als semi-motorisiert zu bezeichnen. [siehe Nigel Askey, Operation Barbarossa Volume IIA, German Division`s Organisation and Equipment]

War die Wehrmacht also doch der hoch motorisierte Moloch? Bei weitem nein, auch wenn man, bei gleichem Zeitansatz, die höhere Strecke, die die mot. Fzg. im Vergleich zu den Pferden zurücklegen können, einbezieht, so waren die Pferde ein nicht wegzudenkender Faktor für das wofür sie da waren: Kurzstreckentransporte vom Divisionsversorgungspunkt zu den einzelnen Einheiten und als Zugpferde für die Artillerie. Der Einsatz der Lkws war gerade in der Sowjetunion von herausragender Bedeutung, da das Eisenbahnnetz bei weitem nicht so eng gestrickt war wie in Westeuropa und längere Distanzen überwunden werden mussten, so musste 1942 eine bei Noworossijsk kämpfende Infanterie-Division ihre Marketenderware (Zigaretten, Schokolade und ähnliches) per Lkw abholen, was eine über 1200 km Hin- und Rückfahrt nötig machte. Das ist freilich ein Extrembeispiel, soll aber aufzeigen, dass die Entfernungen in der Sowjetunion ohne motorisierten Nachschub nicht zu bewältigen war und eben nur die Kurzstrecken von Pferdegespannen bewältigt werden konnten. [Adrian Wettstein, Die Wehrmacht im Stadtkampf 1939-42)

Der geneigte Leser möge jetzt aber bitte nicht diesen Artikel benutzen, um triumphierend zu behaupten, dass die Wehrmacht gut motorisiert war und das den ganzen Krieg hindurch. Fakt ist, dass Lkws den ganzen Krieg über Mangelware waren und auch das massenhafte Konfiszieren von Lkws eroberter Nationen half da wenig, genauso wie z.B. die fast 250.000 in Frankreich während des Krieges für die Deutschen gebauten Lkws, auf die man verständlicherweise weniger Stolz ist als die Aktionen der Resistance. Auch die Anzahl der mobilisierten Divisionen spielt hier eine Rolle, das Deutsche Reich hatte allein 163 Infanterie-Divisionen mobilisiert. Diese alle durchgängig zu motorisieren wie die Divisionen 1. Welle stellte sich als unmöglich heraus, deshalb war ein guter Teil dieser Divisionen "statisch", sprich immobile Divisionen, die kaum Kfz brauchten und eben von dem engen Gleisnetz in Westeuropa profitierten, so dass man die Versorgung mit Pferden z.B. an der Atlantik- und Ärmelkanalküste gewährleisten konnte. Diese Divisionen der 15. Welle und alle mit 700 Nummern versehen waren nicht nur in Mannstärke und Kampfkraft schwächer, sondern nutzten auch nur um die 59 Lkws, 42 leichte Kfz, knapp unter 50 Motorräder und 449 Pferdegespanne. Die Diskrepanz könnte kaum größer sein.

Gerade in der Normandie waren die Infanterie-Divisionen, die die Alliierten zu Gesicht bekamen, oft eben jene fast immobilien Divisionen, die schwerpunktmäßig auf Pferde zurückgreifen mussten und auch so vielleicht das Bild erklären, das der junge G.I. in Band of Brothers von der Motorisierung der Wehrmacht hatte und den einleitenden Satz tätigte.

Abschließend muss ich leider beichten, dass zu den von mir selbst zu Eingang gestellten Fragen sich leider keine einfache, allumschließende Antwort findet. Der Motorisierungsgrad änderte sich oft von Jahr zu Jahr, auch der Frontabschnitt spielte eine Rolle. Festhalten kann man aber trotzdem, dass die Wehrmacht eine vor allem für ihre Größe gute Motorisierung hatte. Ohne diese wären gerade die Vormarschraten in 1940, '41 und '42 nicht denkbar gewesen, die Abnutzung überforderte allerdings die vorhandenen Produktionskapazitäten immens.

In diesem Sinne bleibt das Thema kontrovers, aber dabei sollte man gerade der Kontext im Auge behalten denn gerade dieser ist für Militärhistorisch Interessierte aus meiner Sicht bei der Bewertung historischer Leistungen einer der wichtigsten Faktoren.

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