Gates of Hell: Ostfront – Wenn kurz vor Moskau '41 der Legenden-Autismus kickt

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Es gibt wohl kaum eine Armee in der modernen Militärgeschichte, welche von mehr falschen Mythen, entlarvten Legenden und dreisten Lügen umrankt wird, um von der eigenen Unfähigkeit und Unzulänglichkeit in allen erdenklichen Bereichen abzulenken, wie es bei der Roten Armee während des 2. Weltkriegs der Fall war. Angefangen mit dem Mythos des unbezwingbaren KV-1 von Kolobanov über die Legende von Pavlov's Haus in Stalingrad bis hin zur von Rotmistrov verbreiteten Lüge um die siegreiche Panzerschlacht bei Prochorowka: Die Sowjetunion ließ kaum eine Gelegenheit ungenutzt, das eigene Versagen propagandistisch auszuschlachten und mit ausgedachten Heldentaten zu übertünchen.

In diese Schlange von Luftnummern reiht sich auch der Epos von Panfilov‘s 28 Männern, welcher heutzutage in gebundender Buchform seinen Platz neben anderen Fantasyromanen einnehmen müsste. In der Sowjetunion entschied man sich anders und baute seinen erdichteten Helden ein pompöses Denkmal, wie das nachfolgende Bild eindrucksvoll zeigt. Genau an dieser Stelle klinkt sich das kommende DLC Gates of Hell: Ostfront für den Free-to-Play Ableger Call to Arms ein und nutzt die Geschichte um eben jene achtundzwanzig Mann als historischen Aufhänger für ihre erste Mission „Absolute Zero“ in der sowjetischen Kampagne.

Das RTS-Spiel Gates of Hell: Ostfront wird vom Developer Barbedwire Studios entwickelt, welcher seinen Sitz in der spanischen Kleinstadt Sagunto, Provinz Valencia, hat. Ursprünglich war das Spiel als eigenständiger Titel geplant, doch nachdem man seinen eigentlichen Publisher verloren hatte, kamen sich Barbedwire Studios und der Publisher von Call to Arms, Digitalmindsoft, im Rahmen gemeinsamer Zusammenarbeit durch die Nutzung derselben Engine näher und man entschied sich zusammen im Sommer 2020, den offiziellen Status von Gates of Hell: Ostfront zu einem digital herunterladbaren Inhalt von eben jenem Call to Arms abzuändern. Dadurch sollte die Entwicklung deutlich beschleunigt werden und man konnte auf die bereits fertigen Grundlagen des Basisspiels zurückgreifen. Trotzdem betont Barbedwire Studios weiterhin den eigenständigen Charakter ihres Produkts. So viel an der Stelle zum ganz groben Entstehungszeitstrahl.

Laut eigener Aussage auf deren LinkedIn-Profil entwickele Barbedwire Studios Videospiele von außergewöhnlicher Qualität, wobei die Firma auf sechs Enthusiasten mit solider Wissensbasis in den Bereichen Spieletechnologie und Geschichte des 2. Weltkriegs zurückgreifen könne. Insbesondere Realismus und historische Korrektheit wären ihre Spezialgebiete. Mit solchen doch sehr ausdrucksstarken Ansagen schürt man natürlich nicht nur enorme Erwartungen bei interessierten Spielern, man muss sich als Developer dann auch an seinen selbst gesetzten Qualitätsstandards messen lassen können.

Werfen wir doch jetzt mal einen Blick in das Spiel. Mein geschätzter Wargaming-Kamerad und DWC-Kollege TitanTales hat sich brandaktuell in die noch laufende Beta von Gates of Hell: Ostfront begeben und die schon angeteaserte, erste Mission „Absolute Zero“ in der sowjetischen Kampagne auf Herz und Nieren getestet.

In einem cineastischen Intro wird der Spieler darauf vorbereitet, den Epos um Panfilov‘s 28 Männer nachzuspielen, welche hier den historischen Grundstein für die Daseinsberechtigung dieser Mission markiert. So soll das 1075. Regiment der 316. Schützen-Division, welche von General Ivan Panfilov geführt wurde, am Morgen des 16. November 1941 während Operation Taifun nahe der Eisenbahnstation des kleinen Dorfs Dubosekovo Stellung bezogen haben und die immer wieder anrollenden Angriffe der deutschen 2. Panzer-Division so lange abgewehrt haben, bis der Wehrmacht die Panzer ausgingen. Im Zuge dieses Gefechts sollen 18 deutsche Panzer vernichtet worden sein, während die heroischen 28 Verteidiger alle im Abwehrkampf gefallen sein sollen.

Die Wahrheit ist, dass der Epos um Panfilov‘s 28 Männer erstunken und erlogen ist und eben nur einen von der sowjetischen Führung willig genutzten Mythos darstellte. Die sowjetische Führung deckte die Lüge bereits beginnend ab November 1947 in einer eigens angestoßenen, internen von Lieutenant-General Nikolai Afanasyev geleiteten Untersuchung auf, welcher bewies, dass die angeblichen Verluste auf Seiten der Wehrmacht nicht bestätigt werden konnten und die Deutschen schon zum Abend hin alle Tagesziele erfolgreich genommen hatten. Der vorgebliche, heroische Abwehrkampf trug sich nie zu, stattdessen waren bereits zwei Soldaten zwei Tage vorher in Gefechten gefallen und sechs weitere Soldaten ergaben sich den anrückenden Gegnern. Einer von ihnen begab sich sogar freiwillig in deutsche Gefangenschaft und schloss sich später im Laufe des Krieges einer Polizeieinheit an. Panfilov selber war an diesem spezifischen Gefecht überhaupt nicht beteiligt, weswegen in der anschließenden Rezeption durch den Journalisten Aleksander Krivitsky die Hauptrolle in diesem Mythos Kommissar Vasily Klochkov zuteil wurde. Krivitsky gab während der Befragung gegenüber Afanasyev zu, sich die Geschichte auf Grundlagen einiger Erzählungen von der Front ausgedacht zu haben. Sobald der sowjetischen Führung im Mai 1948 klar wurde, dass es Panfilov's 28 Männer in der Art und Weise nie gegeben hatte, wurden alle Akten unter Verschluss gehalten und die Soldaten als nationale Helden weiterhin verehrt. Obwohl die entsprechenden Unterlagen mittlerweile längst veröffentlicht sind, hat sich bis heute die überwiegend positive und unkritische Rezeption in Russland zu dem Thema nicht verändert.

An dem Punkt sei der Vollständigkeit halber nochmal betont, dass sich Mythenbildungen um angebliche, militärische Erfolge und Heldentaten in jeder Armee dieser Welt finden lassen. Die Rote Armee hat sich dahingehend im Vergleich zu anderen Armeen nur immer besonders schwer getan, in der Nachbetrachtung Wahrheit von Fiktion zu trennen.

Gates of Hell: Ostfront macht sich auf jeden Fall keine große Mühe, diese Legende entsprechend zu kontextualisieren. Das cineastische Intro verweist nur darauf, dass dieses Geschehnis laut damaliger Berichte so passiert sein soll, um dem Spieler dann mitzuteilen, genau dieses Handlung nachspielen zu dürfen. Verliert man die Mission, wie es im Video von TitanTales zu sehen ist, bekommt der Spieler überhaupt keine Informationen mehr dazu. Gewinnt man die Mission, wird ein kleines Fenster eingeblendet, in welchem dem Spieler zwischen dem restlichen Text in einem Satz über den Mythencharakter der Geschiche von Panfilov‘s 28 Männer informiert wird. Das ist nicht nur extrem dürftig, sondern im Zusammenhang mit dem deutlich ausladenderen Intro mit Bewegtbild und Ton auch einfach nur eine kaum wahrzunehmende Fußnote. Von vielbeschworenen historischen Korrektheit der Developer sind wir hier meilenweit entfernter als die Wehrmacht von der Einnahme Moskaus '41. Dagegen wirkt das Erscheinen des einzigen Prototypen der Selbstfahrlafette SU-100Y mit einem 130mm Schiffsgeschütz in der Mission, zu welcher es in Echt keinerlei Dokumente über den genauen Einsatz(ort) gibt, wie beiläufiger Hohn.

Barbedwire Studios fragt uns Spieler auf ihrer Homepage:

Are you ready for realism?

Klar sind wir bereit für Realismus, was soll diese, entschuldigung, doofe Nachfrage? Auf ein realistisches RTS, welches die Ostfront im 2. Weltkrieg unverfälscht und ohne Bias präsentiert, warten viele Wargamer bereits seit gefühlt Jahrzehnten.

Und weiter:

Gates of Hell will be a sensationally realistic and immersive war game. It will stand out as a ground- breaking in the WW2 RTT/ RTS genre because of its realistic approach and stunning visuals. All of our assets, maps and missions will be new, and our SP missions are historically correct. We base content on real events, locations and war machinery.

Natürlich, Gates of Hell: Ostfront ist so dermaßen historisch akkurat, dass bei den Entwicklern mal eben kurz vor Moskau '41 der Legenden-Autismus gekickt hat. Völlig unabhängig von der restlichen Qualität des Spiels reicht dieses falsche Geschichtsverständnis längst aus, um dem Entwickler ernsthaft die eigenen Ansprüche um die Ohren zu hauen. Lassen wir uns überraschen, ob im fertigen Spiel die Rote Armee wirklich die Streitmacht sein wird, die sie dank der Recherchearbeit von Autoren und Fachleuten wie Askey, Frieser, Kavalerchik, Töppel, Zetterling und Co. nun mal war und welche sich bis Berlin vor allem durch Lend-Lease und das Verheizen von Millionen von jungen Soldaten durchgebissen hatte. Heldenhaft war daran nicht mehr viel...

 

NACHTRAG 07.03.2021

TitanTales hatte sich gestern noch die Mühe gemacht und bei Barbedwire Studios bzgl. der Rezeption des Panfilov-Mythos nachgehakt. Die Antwort hat er mir dankenswerterweise zu Verfügung gestellt, welche ich hier im Original zur Vervollständigung des Bilds posten darf, um die Sichtweise der Entwickler auf den historischen Rahmen und die Umsetzung im Spiel nicht unfairerweise unter den Tisch zu kehren:

Thanks for your message, it is well appreciated that you let us know your doubt first.
You mention a number of things, let's go over the main ones.

1) The story of Panfilov is a lie.
This is right of course, that's why we say exactly that in the closing statement when you finish the mission.

2) Why did you use this propaganda story?
We don't use it, we dismantle it. We declare it to be a fabrication.

As far as historical correctness goes, There is more to the story than people will find on wikipedia. That's why the mission was built the way it is. We think we have the actual numbers way closer to the truth than the propagada story does, and that's why you see more than 28 men and a number of AT guns and mortars on the battlefield.

Our mission hook clearly says that it's the official version that says it was just 28 soldiers and the way the mission plays out is closer to the real battle and we trust that after the battle it will be easy to admit, for any player, that 28 men could never have stopped the attack, when the outro text tells you what actually happened is what you play in the mission.

I hope that answers your questions. Thanks for asking us about it, and we wish you many viewers for your story.

So polemisch ich auch an der einen oder anderen Stelle meines Artikels bis dato war, so ernsthaft möchte ich zum Abschluss meines Nachtrags noch ein paar kurze Sätze anbringen. Ich gestehe den Entwicklern zu, dass sie sich der Entstehungsgeschichte der Legende um Panfilov‘s 28 Männer bewusst sind, aber ich störe mich doch durchaus ordentlich daran, dass sie im Spiel selbst nur sehr spärlich auf die kritischen Punkte im Kontext des Mythos eingehen und insbesondere im Intro der Mission eher den Eindruck erwecken, dass der Spieler die Möglichkeit hat, die Geschichte um eben jene 28 Männer nachzuspielen. Ebenso finde ich es eher wenig gelungen, dass man sich bewusst dazu entschieden hat, die Rezeption den Spielern zu überlassen und darauf zu verweisen, dass schon alleine aus dem Aufbau der Mission hervorgehen müsste, dass die Legende um Panfilov eine Lüge sein muss.

Anstatt diese Aussagen klar in Text und Ton vor und nach der Mission zu platzieren, schiebt man jegliche Verantwortung der Spielerschaft zu und verweist auf tiefergehende Informationen aus dem Internet. Ich halte es an der Stelle übrigens für sehr gewagt, der typischen Spielerschaft solch umfängliches Fachwissen und eine passende Kontextualisierung zuzutrauen. Meiner Meinung nach erweckt das viel eher den Eindruck, dass der Entwickler weniger Wert auf historische Genauigkeit legt, als auf Steam und der eigenen Homepage angepriesen wird, und man sich im Gegenzug bspw. Inspiration aus dem propagandistisch stark eingefärbten, russischen Kriegsfilm „Panfilov's 28 Men“ aus dem Jahre 2016 geholt hat, wie unter anderem der Bau von Geschützattrappen aus Holz zu Beginn der Mission vermuten lässt.

Das ist ehrlich schade und ich würde mir wünschen, dass Barbedwire Studios dahingehend nochmal nachbessert und andere Developer von Wargames in Zukunft erst gar nicht versuchen, widerlegte Kriegslegenden ohne klare Einordnung als geschichtliche Grundlage zu verwenden.

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