Einordnung von Perspektive und Realismus in Wargames anhand einer Thesis von R. H. Stolfi

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Beispiel: Ohne das Wissen um den historischen Ausgang des Seegefechts in der Dänemarkstraße zwischen der HMS Hood, Prince of Wales und den Kriegsmarineschiffen Bismarck und Prinz Eugen spielen zwei Spieler das Gefecht nach. Die Schiffe treten in die Gefechtsphase ein, der Royal Navy (RN) Spieler rollt zuerst seine Würfel und erzielt ausser einem minimalen Treffer keine Ergebnisse. Der Kriegsmarine (KM) Spieler würfelt und erzielt einen unglaublich glücklichen Wurf und die Hood explodiert direkt zum Start des Gefechts, der frustrierte RN Spieler wirft einen Wurf auf Abbruch des Gefechts und es gelingt im die HMS Prince of Wales aus dem Gefecht zu ziehen. Der KM Spieler würfelt auf die Auswirkung der leichten Beschädigung und es stellt sich heraus dass er Sprit verliert. Er entscheidet sich die Bismarck nach Frankreich zu führen aber vorher noch die Prinz Eugen alleine loszuschicken, um noch ein paar wichtige Siegpunkte einzufahren.

Der RN Spieler naturgemäß führt alles zusammen was er verfügbar hat und, immernoch frustriert, beginnt die Bismarck zu jagen. Mit seinem letzten Versuch schafft er es die Bismarck zu lokalisieren und gerade so in Reichweite schickt er Swordfish Torpedobomber los. Der KM Spieler würfelt für die Flugzeugabwehr und: trifft NICHTS! "Lächerlich" grummelnd übergibt er dem RN Spieler die Würfel und dieser erzielt sogar einen Treffer. Unglaublich aber wahr, es ist ein kritischer Treffer, dieser verklemmt das Ruder, die Bismarck kann nicht mehr steuern! Beim Auswürfeln der zufälligen Bewegungsrichtung passiert das doppelte Unglück, die Bismarck fährt wieder zurück, in die Arme der RN und Ihrem Untergang entgegen.

Frage: Ohne das Historische Vorwissen, das wir über das Gefecht haben, würden wir diesen Ablauf der Ereignisse als "realistisch" ansehen?

Das Streben im historischen Wargaming ist, zumindest teilweise, immer der Versuch die Komplexität der Kriegsführung und das historische Geschehen ab Ausgangslage so genau wie möglich darzustellen, während das ganze spielbar bleiben soll.
PC Spiele haben da naturgemäß den Vorteil, mehr Regeln und Mechaniken unterbringen zu können als Brettspiele, die allein aufgrund einer hohen Komplexität ab einem gewissen Punkt unspielbar werden.

Einen großer, aber eher unbeachteten Aspekt des ganzen ist allerdings wie wir als Spieler und auch die Hersteller den Konflikt wahrnehmen. Dieses Bild wird von dem geprägt was für eine Voreingenommenheit wir gegenüber dem Konflikt haben, was und von wem wir gelesen haben, welche Dokumentationen oder "Geschichtsyoutuber" wir anschauen, etc.. Dabei muss man miteinbeziehen, das wir naturgemäß zu der Seite lehnen die diese Voreingenommenheit unterstützt.

Dies ist ins diesem Kontext insofern problematisch, dass wir eine Erwartungshaltung haben wie etwas auszusehen und zu funktionieren hat und dass Spielehersteller dem entgegen kommen müssen oder in den Ruf kommen, "unrealistische" Spiele zu machen oder gar eine Seite der anderen vorziehen. Hier wiederum sind die PC Spiele naturgemäß anfälliger als die Brettspiele da die Spielerbasis größer ist und das Feedback auf Steam und ähnlichen Plattformen schneller und direkter.

Gerade in letzterem wird man bei vielen Wargames, sei es RealTimeStrategy oder andere Arten über viele, viele Diskussionen stoplern, in denen es um Realismus geht und in denen dann Zitate, Berichte und anderes angeführt werden, um die eigene Meinung zu fördern, zumeist geht dies mit einem Scheuklappenblick und fehlender Einordung in den historischen Kontext einher.

Zu R. H. Stolfi und seiner Thesis, Stolfi ( 1932 - 2012) war Oberst der US Marine Corps Reserve und Professor für Moderne Geschichte and der Naval Postgraduate School in Monterey, Kalifornien. Er war unter anderem der Autor mehrer Bücher über den Einsatz und Struktur der deutschen Panzer Divisionen im zweiten Weltkrieg mit einem klaren Fokus auf die Funktionalität dieser Panzer Divisionen, wie sie im Kampf funktionierten und die dazugehörigen Stabsabläufe und der Einsatz verschiedener Waffensysteme im Kampf der verbundenen Waffe.

In seinem Buch Hitler`s Panzers East stellt Stolfi die These auf, das für die Wehrmacht in Operation Barbarossa der Krieg im Monat August 1941 verloren ging. Diese These pickt Nigel Askey, dann mit harten Fakten und Zahlen untermauert, in seiner Buchserie Operation Barbarossa auf und führt sie weiter. Für den Leser als Kurzabriss, nach der Einnahme und der Kesselschlacht von Smolensk standen an der Front der Heeresgruppe Mitte der Roten Armee nur noch ca. 35 Divisionsäquivalente zu Verfügung, die ein weiteres Antreten auf Moskau kaum hätten verhindern können. Stattdessen befahl Adolf Hitler den Schwenk nach Süden, der zum Kessel bei Kiev und der Gefangennahme von über einer halben Million Rotarmisten führte. Diese Zahl wäre auf keinen Fall vor Moskau erreicht worden, da dort einfach kaum mehr Kräfte standen.

Nun argumentiert Stolfi, dass man Moskau im September und vor dem Einsatz der Schlammsaison hätte erreichen können, denn die Entfernung in den Süden ist die gleiche als nach Moskau, zudem die Nachschublager in Smolensk schon bestanden, genauso wie die von der Grenze her konvertierten Gleise. Warum hätte das etwas geändert? Um es kurz zu machen, hier einige Punkte:

- Zu diesem Zeitpunkt war der Hauptteil der Sowjetischen Lkw Produktion um Moskau organisiert.

- Die Reserven der Roten Armee zu diesem Zeitpunkt unterwegs Richtung Kiev, die neuaufgestellten Einheiten der Roten Armee taktisch eher immobil durch das Fehlen von Lkws.

- 40% der eingezogenen Männer in der Gegenoffensive vor Moskau im Dezember 1941 kamen aus dem Moskau-Gorki Becken

- Die Soviets wären ohne die Leningrad-Moskau Eisenbahnlinie nicht in der Lage gewesen, die Leningrad Front zu versorgen, da die übrigen zwei Eisenbahnlinien das benötigte Versorgungsaufkommen nicht hätten stemmen können.

Gibt es nun die Optionen in einem Wargame, den Stoß auf Moskau im August 1941 zu beginnen? Kaum bis gar nicht, War in the East 1 und 2 bieten die Möglichkeit, wenn man die Spielmechaniken bis aufs äußerste ausnutzt, ansonsten wird es auch schon dünn. Sollten Wargames aber nicht gerade den Spieler unterstützen, neue Dinge zu versuchen, anstatt Ihn in ein Korsett der Voreingenommenheit und Nachsicht zu zwingen? Sollte das Denken "outside of the box" nicht gefördert werden? Dazu sollte ein Wargame den Rahmen und die Ressourcen bereitstellen, auch und gerade jene im historischen Kontext, denn warum sollte ich ein Spiel nachspielen, das wie auf Schienen mir mein Ende vorgibt oder mich mit einer vermeintlichen Karotte der Entscheidungsfähigkeit lockt, die aber extrem unwahrscheinlich zu erreichen ist. Die Herausforderung muss bleiben, aber der Weg dorthin sollte nicht verbaut werden, ansonsten kommen semi-historische Hybriden heraus wie bei War in the East 2 bei der der Sowjet völlig frei in seiner Möglichkeit ist Einheiten aufzustellen, während der Deutsche sich an den historischen Ablauf der Aufstellungen halten muss und somit eine Seite kastriert, während die andere völlige Planungsfreiheit hat.

Auch Grundsätze in der Operationsführung und Gefechtsführung sollten ja gleich bleiben, um es klar zu machen, ich argumentiere nicht für ein Wie-Wa-Wunderland des Wargamings, in dem jeder das erreicht was er will, sondern das eine realistische Planung und Einstufung meiner Ressourcen mir erlauben sollte vom vorgegeben "historischen" Weg abzuweichen und trotzdem Erfolg zu haben. Das Problem hier ist das von mir eingangs Erwähnte, wenn man denkt, das Thesis A, B, C, 08/15 nicht möglich ist oder nicht realistisch ist, wird sie nicht in Betracht gezogen, wobei unter dem Begriff "realistisch" oft völlig verschiedene Definitionen ins Feld geführt werden. 

In dieser Hinsicht argumentiere ich bei den Spielen, die dem Spieler angebliche Freiheit lassen, das sie das auch bitte zulassen sollten anstatt es nur vorzugeben und für Abweichung vom vorhergesehenen Weg mit automatischem Misserfolg "abstrafen", um als verteidigendes Argument vermeintlichen Realismus ins Feld zu führen, wobei in diesem Sinne oft einfach nur das korrekte Nachspielen der Vorgänge verstanden wird anstatt dem Spieler die realistische Bandbreite der Möglichkeiten zu geben.

In diesem Sinne, fröhliches Wargamen.

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